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Mittwoch, 24. Februar 2016

"Sunford – Verführung eines Gentleman" von Celia Jansson

Unerwartet und doch am Ende unverzichtbar …
Leonard Knightly ist ein wohlhabender Unternehmer in seinen besten Jahren, erfolgreich und … schwul. Das ist im prüden England Anfang des 20. Jahrhunderts ein Verbrechen, das mit Zuchthaus geahndet wird. Seine Sehnsucht nach Nähe unterdrückt Leonard so gut es geht, nur hin und wieder lässt er sich zu belanglosen Affären hinreißen. Alles sehr diskret und niemals auf mehr als reinen Sex angelegt, Liebe oder gar eine Partnerschaft scheinen unerreichbar zu sein.

Als er den jungen Adligen Vincent kennenlernt, fühlt er sich von ihm angezogen, glaubt aber niemals daran, eine Chance zu haben, Außerdem möchte er Vincent auf keinen Fall kompromittieren. Fast gegen seinen Willen verbringt er trotzdem immer mehr Zeit mit dem stets gut gelaunten Mann.

Die Frage ist, wer in diesem Spiel der Verführer und wer der Verführte sein wird. Können die Männer wieder aufeinander verzichten, nachdem sie einander unerwartet gefunden haben?

Die Geschichte „Sunford - Verführung eines Gentleman“ von Celia Jansson lässt sich in drei Teile gliedern.

Zu Beginn wird der Sommer aus Leonards Sicht geschildert. Seinem zurückhaltenden Wesen entsprechend beginnt die Geschichte sehr ruhig und langsam. Leonards Homosexualität ist ein Geheimnis, das er um jeden Preis wahren will, weil ihn die Enthüllung gesellschaftlich und beruflich ruinieren würde. Er verschließt diesen wichtigen Teil seines Selbst so tief und mit so eiserner Disziplin in sich, dass er auch in anderen Situationen nicht mehr offen und spontan reagieren kann. Private Treffen mit anderen Menschen strengen ihn an, weil er immer etwas von sich verbergen muss. Nur die idyllische Umgebung seines geliebten Heimatortes Sunford schenkt ihm ein wenig Frieden, der durch Vincents Ankunft allerdings gehörig gestört wird.

Der zweite Teil erzählt im Grunde die gleiche Geschichte noch einmal, allerdings aus Vincents Sicht. Damit ändert sich auch plötzlich der Blickwinkel des Lesers ganz entscheidend. Situationen, die eigentlich schon bekannt sind, bekommen auf einmal ein völlig neues Gewicht. Überraschenderweise ist es keinen Moment langweilig, sondern sogar außerordentlich spannend, zu erfahren wie Vincent den Sommer erlebt hat. Dass er kein unschuldiger Junge ist, was eigentlich schon klar, was ihn aber wirklich nach Sunford verschlagen hat, ist dann doch eine Überraschung. Als sein Geheimnis enthüllt wird, ist der Zauber des Sommers gebrochen.

Der dritte Teil des Romans erzählt abwechselnd aus Leonards und Vincents Sicht, wie die damit umgehen, dass sie sich unerwartet und sicher auch ungewollt in einander verliebt haben. Beide glauben nicht, dass es eine gemeinsame Zukunft für sie gibt, aber beide können auch nicht in ihr altes Leben zurück. Sie müssen sich entscheiden, ob sie wirklich auf die Liebe und vor allem auf einander verzichten können. Die gemeinsame Zeit hat beide tief berührt und für immer verändert.

Der Roman besticht nicht nur mit den beiden solide angelegten Charakteren, sondern auch mit sympathischen Nebenfiguren. Hier ist natürlich allen voran Leonards kluge und für ihre Zeit erstaunlich unabhängige Schwester Florence zu nennen. Im Gegensatz zu Leonard hat sie keine Angst davor, die Gesellschaft zu brüskieren, um ihre Ziele zu erreichen.

Sehr interessant und außerdem wunderschön beschrieben sind die Schauplätze, an denen die Story spielt. Der ländliche Friede von Sunford ist ebenso spürbar wie die laute Hektik von London. Celia Jansson ist es ausgezeichnet gelungen, die besondere Atmosphäre beider Orte einzufangen. Besonders die Beschreibungen von London mit seinen Subkulturen in der Zeit zwischen Jahrhundertwende und dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges sind unheimlich interessant. Bigotterie und Klatsch findet man übrigens im kleinen Dorf genauso wie in der großen Metropole.

Sunford - Verführung eines Gentleman“ ist so mehr Romanze als historischer Roman. Trotzdem spürt man den Atem der längst vergangenen Zeit, wenn man das Buch liest sehr deutlich. Die geschickte Verknüpfung mit realen Personen und Ereignissen macht die Geschichte sehr authentisch. Man muss sich ein wenig auf den Roman und die Zeit in der er spielt einlassen, um die Motive und Handlungen von Leonard und Vincent wirklich nachvollziehen zu können. Leonards Reserviertheit und Vincents Geheimniskrämerei machen das nicht immer einfach.

Aber es lohnt sich! „Sunford“ ist kein Buch, das man begeistert verschlingt, sondern eines, das man in Ruhe genießen sollte. Es ist klug angelegt und geschrieben. Wenn man der Geschichte ein wenig Zeit gibt, wächst sie einem sehr ans Herz. Hier kann sollte man sich ruhig ein Beispiel an Vincent nehmen: Voller Freude entdeckt er am Wegesrand tausend kleine Wunder und öffnet damit auch Leonards Augen für Schönheit, die dieser vorher schon lange nicht mehr wahrgenommen hat.

Mein Fazit:
Sunford - Verführung eines Gentleman“ hat auch mich verführt. Von Seite zu Seite habe ich immer mehr Gefallen an der Story gefunden. Der Anfang ist ein wenig zäh, erst ab dem zweiten Teil nimmt die Story merklich Fahrt auf. Obwohl man die Handlung ja eigentlich schon kennt, ist es unheimlich spannend, sie noch einmal aus einer ganZ anderen Perspektive zu erleben.
So hat sich fast unmerklich von „Gefällt mir“ zu „Gefällt mir sehr“ hochgearbeitet und erhält damit 5 Punkte und eine Leseempfehlung.



Haben wollen?
 Hier kann man das Buch von Celia Jansson kaufen:

- "Sunford - Verführung eines Gentleman"

Bildquelle: Sieben Verlag

# Die Rezension enthält Werbelinks.

6 Kommentare:

  1. Liebe Ulla,

    ich finde es sehr spannend, dass du die Geschichte offenbar ganz anders erlebt hast als ich.
    Für mich waren leider der zweite und dritte Abschnitt sehr schwach, weil ich mich doch ziemlich gelangweilt habe. So unterschiedlich sind eben die Geschmäcker. Sunford selbst fand ich aber auch sehr schön idyllisch. Da hab ich gleich Lust auf Urlaub bekommen :D

    Danke übrigens auch für den tollen Beitrag über die zeitliche Einordnung. Hab ihn gerade gelesen und er hat mir wirklich sehr gut gefallen. Informativ aber nicht zu überladen :)

    Grüße,
    Julia

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    1. Hallo Julia!
      Ich hätte das Buch erst am liebsten weggelegt, als ich gesehen habe, das der zweite Teil nicht nur einen Perspektivwechsel bringt, sondern die gleiche Geschichte noch einmal erzählt.
      Zu meiner eigenen Überraschung fand ich aber dann genau diesen veränderten Blickwinkel unheimlich interessant. Mit Vince konnte ich vorher nicht sooo viel anfangen und fand ihn eher ein wenig jungenhaft und naiv. Seine "Rolle" hat also nicht nur bei Leonard, sondern auch bei mir funktioniert. Vincents dunkle Seite finde ich persönlich erheblich interessanter und mir gefällt, dass er sich langsam und gerade deswegen glaubwürdig weiter entwickelt.

      Das ist für mich aber eines der wenigen Bücher, in denen der Kunstgriff mit dem Perspektivwechsel wirklich funktioniert und es sogar Spaß gemacht hat, einige Situationen noch einmal erzählt zu bekommen. Meist geht es mir so wie dir: Ich will lieber wissen, wie es weiter geht.

      GLG ulla

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    2. Im Grunde finde ich Perspektivwechsel sehr gut. Das ist ein Grund, warum ich so gern im Gay Genre lese. Da ist es ja sehr verbreitet, dass abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven geschrieben wird. Oder auch in Thrillern. Das mag ich alles total gern.

      Aber hier hat es für mich gerade eben nicht funktioniert. Klar, man erfährt mehr über Vincent, sein Charakter entwickelt sich weiter. Aber vor allem der zweite Teil war dann doch zu sehr Nacherzählung und dann auch noch eine falsche. Wegen mir hätte man da einfach an dem Punkt weitermachen können, an dem Leonards Part aufhört. :D

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    3. *grins*
      Falsche Nacherzählung?
      Ich glaube in diesem Punkt werden wir uns bei "Sunford" nicht einigen können.
      Ich habe das vielleicht oben nicht ganz richtig ausgedrückt. Auch ich mag Perspektivwechsel. Doof finde ich sie aber, wie ich das auch schon mehr als einmal gelesen habe, wenn sich eigentlich nichts ändert und sogar Dialoge wortwörtlich wiederholt werden.

      Hier hat es für mich deswegen funktioniert, weil ich zusammen mit Leo einer Täuschung erlegen bin und es interessant fand, wie und weshalb Vince das gemacht hat. Außerdem haben sich ein paar Fäden aufgelöst, z.B. der Streit mit Sam, den Leo ja mitbekommt. Was wirklich dahinter steckt, kann Loe aber nicht wissen, weil er ja nicht dabei war. Vince dagegen erzählt es relativ ausführlich.

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  2. Mit falscher Nacherzählung meine ich, dass einfach die beiden Teile nicht zusammen gepasst haben. Erinnerst du dich an die Szene am See? In Leonards Teil geht Vincent hinter einen Baum und zieht sich dort den Badeanzug aus. Im zweiten Teil bleibt er allerdings sitzen und lässt den Badeanzug trocknen und zieht sich dann die normalen Sachen über. Das ändert natürlich für den Verlauf der Geschichte nichts, aber es tauchte öfter auf und mich stört so was leider beim Lesen.
    Na wir müssen uns da ja zum Glück auch nicht einigen. Ist ja vollkommen okay, wenn wir das unterschiedlich sehen.
    Ja, das verstehe ich. Wortwörtliche Wiederholung geht auch gar nicht. Nur ist eine Nacherzählung wie hier halt auch blöd.
    Die Szene mit Sam hat man natürlich durch Vincent ausführlich erlebt, da stimme ich dir zu. Aber das war mir zu wenig, im Vergleich zu dem Nacherzählten. Entweder man macht es dann gleich von Anfang an abwechseln. Ein Kapitel Leonard, ein Kapitel Vincent usw. (natürlich ohne Wiederholung). Oder man setzt - für meinen Geschmack - im zweiten Kapitel da ein, wo Leonards Geschichte aufhört und spart sich die ganze Sunford Zeit aus Vincents Sicht und geht dann, wenn es nötig ist, durch Rückblenden auf das ein, was aus der Zeit wichtig ist. Zum Beispiel der Meer-Tag mit Sam.

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    1. Das mit dem Badeanzug ist mir so gar nicht aufgefallen. Aber du wirst recht haben.
      Tatsächlich habe ich auch an ein oder zwei Stellen gedacht: Das habe ich etwas anderes in Erinnerung ...
      Persönlich fand ich das aber nicht so schlimm, weil - und das hat jetzt wirklich nichts mehr mit dem Buch zu tun - ich immer wieder erlebe, dass mir zwei Leute die gleiche Situation unterschiedlich schildern. Keiner von beiden lügt. Sie haben sie einfach unterschiedlich in Erinnerung. Wenn ein dritter dabei gewesen wäre, hätte man vielleicht eine dritte Variante und selbst eine Filmaufnahme würde unter Umständen zu verschiedenen Interpretationen führen.

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