Die Frage zum heutigen Gewinnspiel findet man am Ende des Textes ...
„Sunford – Die Verführung eines Gentleman“ von Celia Jansson spielt im Sommer des Jahres 1905 in einem (fiktiven) idyllischen Örtchen in Somerset, England. Nicht nur das britische Reich, die ganze Welt befindet sich in einem Umbruch, der mehr und mehr an Tempo gewinnt. Seit dem Tod von Königin Vitoria im Jahre 1901, die immerhin 63 Jahre lang über das Empire herrschte, sitzt Edward VII auf dem Thron. Die Technisierung der Welt schreitet unaufhaltsam voran, die Gesellschaft hat sich aber noch nicht wirklich an die Moderne angepasst und die prüden Moralbegriffe von Viktoria halten sich in vielen Bereichen auch weiterhin.
Das kleine britische Örtchen „Sunford“ kann man als beispielhaft für den stattfindenden Wandel sehen. Zwar scheint die Zeit hier noch stillzustehen, aber auch Sunford kann sich natürlich dem Schritt ins neue Jahrhundert nicht auf Dauer entziehen. Leonard Knightley, einer der beiden Protagonisten der Geschichte, möchte unbedingt, dass die Eisenbahn endlich bis in sein Heimatdorf kommt. Er arbeitet daran, Investoren und politische Entscheidungsträger für sein Projekt zu begeistern, um so eine Verbindung des Örtchens in die Metropole London gewährleisten.
Manchmal habe ich mich beim Lesen gefragt, ob er sich bewusst ist, welche Gefahr die direkte Verbindung ins schnelllebige London für seinen geruhsamen Rückzugsort bedeuten könnte. Den kann man bisher nämlich nur per Pedes, im Sattel oder mit der Kutsche erreichen. Die ersten Automobile gibt es zwar auch schon, sie sind aber noch eine exotische Sensation. Fahrräder sind eher Luxusgegenstände, die dem Vergnügen dienen, als Lastesel, die kein Futter brauchen.

Das kann ihn in große Schwierigkeiten bringen, wenn seine Homosexualität bekannt wird, die seit der prüden Königin Viktoria nicht nur verpönt, sondern gleich verboten ist. Mehr zu diesem speziellen Thema gibt es morgen im Rahmen der Blogtour bei Koriko auf “Like a Dream“.
Eine wichtige Rolle in „Sunford“ spielt Leonards Schwester Florence. Sie ist eine sehr moderne, belesene Frau, die sich nicht mit der Rolle als Hausfrau und Mutter abfinden will. Florence interessier sich sehr für die Frauenrechtsbewegung und die 1903 von Emmeline Pankhurst gegründete „Women’s Social and Political Union (WSPU)“, die sich für die Einführung des Frauenwahlrechts stark machte. Damit weigert sie sich, genau wie ihr Bruder, sich den geltenden Normen zu unterwerfen. Celia Jansson macht ihren Durst nach Freiheit deutlich, indem sie sie Fahrrad und Auto fahren lässt, was im Dorf jedes Mal für Klatsch sorgt.
Sunford ist eine kleine, in sich geschlossene Welt. Heute, im Zeitalter von internet, wo Nachrichten nur noch Sekunden brauchen, um die ganze Welt zu erreichen, vergisst man leicht, dass dies noch nicht lange der Fall ist. Für die Dorfbewohner ist London weit weg. Das Tagesgeschehen dort interessiert sie nur am Rande, die Politik, aber auch die gesellschaftlichen Ereignisse betreffen sie kaum und haben keinen wirklichen Einfluss auf ihr Leben.
England befindet sich auf dem Höhepunkt des Imperialismus und führt in allen Teilen der Welt Kriege. In Europa entwickelt sich zunehmend eine Rivalität mit Deutschland, die 1914 im ersten Weltkrieg enden wird. Auch hier spielt die Eisenbahn übrigens eine wichtige Rolle. Nicht nur in England werden überall Strecken ausgebaut, auch weltweit versuchen die verschiedenen Nationen mit dem Bau von Schienenwegen ganze Länder unter ihre Herrschaft zu bringen.
Für Sunford bedeutet die Eisenbahn nur eine schnelle Anbindung in die Hauptstadt und evtl. die Erschließung den dortigen Marktes für die Produkte der Region. Weltweit sieht dies natürlich anders aus. Die Eisenbahn bedeutet für den jeweiligen Erbauer nicht nur den Zugriff auf Rohstoffe, sondern auch die Möglichkeit schnell Truppen und Material in Krisenregionen zu bringen.
Viel mehr als für die Politik interessieren sich vor allem natürlich die Damen für die Londoner Mode. Einerseits ist sie vom Jugendstil inspiriert und betont die weiblichen Kurven mit der S-Linie, die durch Korsetts unterstützt wird, andererseits verbietet die Prüderie Haut zu zeigen. Von Abendkleidern einmal abgesehen, sind Kragen hochgeschlossen und lange Ärmel bedecken die Haut bis zum Handgelenk. Wer sich in dem Buch manchmal über Leonards und sogar Vincents Zurückhaltung wundert, sollte bedenken, dass es noch wenige Jahre zuvor – unter Königin Viktoria – verpönt war, von „Beinen“ auch nur zu sprechen. Dies galt als sexuell anstößig, weshalb man „Gliedmaßen“ sagte. Die Prüderie ging teilweise so weit, dass sogar Stuhlbeine (!) verhüllt wurden, weil ihr Anblick sexuelle Lust hervorrufen könnte …
Die Herren der Schöpfung tragen 1905 natürlich Hosen und dazu, je nach Anlass Frack oder Sakko. Westen waren obligatorisch, die früher üblichen hohen, unbequemen Kragen sind mittlerweile durch niedrigere und bequemere abgelöst worden. Der Reißverschluss war schon erfunden, hatte aber seinen Weg in die Alltagkleidung noch lange nicht gefunden. Wenn Leonard und Vincent sich also aus ihren Kleidern schälen, müssen sie eine Menge Knöpfe öffnen!
Zum Schluss:
Ich muss gestehen, dass mich Ich „Sunford“ noch einmal und mit erheblich mehr Vergnügen gelesen habe, nachdem ich mich mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund befasst habe. Sehr gespannt bin ich auf die Zusammenfassung zum Thema Homosexualität in dieser Zeit im Rahmen der Blogtour.
Die Geschichte von Vincent und Leonard ist mit Sicherheit von dem realen Skandal um Oscar Wilde inspiriert, der ein paar Jahre zuvor die Londoner Gesellschaft in Aufruhr versetzt hat. Die Doppelmoral, verschärft durch die Tatsache, dass bei Adel und dem Rest der Bevölkerung mit zweierlei Maß gemessen wurde, erhöht die Dramatik der Geschichte und lässt die Reaktionen und die Angst vor einem erzwungenen Outing noch einmal verständlicher werden.

Oft hört man ja: "Früher war alles besser!"
Wenn man sich ein wenig mit der Vergangenheit auseinandersetzt kommt man schnell dahinter, dass dies mit Sicherheit nicht so war. Trotzdem hat der Gedanke einen gewissen Charme, zumindest mal "vorbeizuschauen".
Wenn Zeitreisen in die Vergangenheit möglich wären, welche Zeit würdet ihr gerne besuchen? Warum?
Zu Gewinnen gibt es auch heute wieder ein Print-Exemplar von "Sunford". Man kann übrigens auf jedem der Blogs im Rahmen der Tour teilnehmen und so seine Gewinnchancen erhöhen!
Einfach die jeweiligen Fragen in den Kommentaren bis zum 3. März 2016; 23.59 Uhr beantworten, e-Mail-Adresse hinterlassen und schon landet man im Lostopf.
Die Gewinner werden am Ende bekannt gegeben!
Achtung: Mail-Adresse nicht vergessen oder direkt an mich schicken.
Quellen: Wikipedia, Chronik des 20. Jahrhunderts, diverse Geschichtsbücher
Bildquellen: Wikipedia, Sieben-Verlag (Cover)
# Die Rezension enthält Werbelinks.